Stadtgeschichte

Noch im 8. Jahrhundert nach Christi bezeichnete der Gründer des Stifts Fulda, der Bonifatius-Schüler Abt Sturmius, den späteren Herrschaftsbereich seines Klosters als vastitudo, als menschenleere Einöde. Zum westlichsten Teil des Fuldaer Stiftsgebietes gehörte auch das Dorf Lauterbach als Mittelpunkt eines Cent-Gerichts (von centum / Hundertschaft) und als Sitz eines Erzpriesters. 

Das frühe Lauterbach, das wenig zuvor von hessisch-fränkischen Siedlern gegründet worden sein dürfte, taucht erstmals 812 urkundlich auf. Das Dorf besaß einen Fronhof, eine Gerichtsstätte und eine Kapelle, die gleichsam zum Sitz eines Erzpriesters wurde und zur Kirche avancierte. Lauterbach lag dabei zunächst auf der Schwelle zweier christlicher Missionszentren. Von Westen her drang die freie, iro-schottische Mission aus Schotten vor; von Osten dominierte die römische Mission Fuldas. Auf diese Weise wurde Lauterbachs Kirche mit zugehörigem Archidiakonat ein wichtiger Grenzpunkt zwischen dem souveränen Hochstift Fulda und dem Erzbistum Mainz. 

Durch seine gesteigerte Bedeutung gerieten die fuldischen Untertanen in Lauterbach im frühen 13. Jahrhundert in eine Schlüsselposition der fürstlichen Landespolitik. Die Niederadligen, die der Fürstabt im Lauterbacher Raum mit Herrschaftsrechten ausstattete (als Lehen), begehrten nach mehr Macht, mehr Souveränität und Reichtum. So zogen die Ritter von Schlitz, von Wartenberg und von Eisenbach mit dutzenden anderen Geschlechtern und den Grafen von Ziegenhain gegen den Lehensherren in Fulda, wurden allerdings vernichtend geschlagen. 

1266 erhob der Fürstabt Bertho II. von Leipolz Lauterbach zu einer Stadt und erlaubte den nunmehrigen Bürgern, Befestigungsmauern und eine Turmburg zu errichten. Die Stadtwerdung Lauterbachs war eine Konsequenz innen- und außenpolitischer Instabilität. Nach innen sollte die Stadt ein politisches Gegengewicht zu den begnadeten, doch noch immer misstrauisch gestimmten Ritteradligen darstellen. Nach außen waren die fuldischen Städtegründungen (Herbstein, Lauterbach, Geisa etc.) jedoch eine Reaktion auf die Stadtgründungswelle der thüringischen Landgrafen in Hessen (Homberg, Marburg, Kassel, Alsfeld). 

In der Stadt Lauterbach, soweit sie Gräben und Mauern umfingen, behielt zunächst die Fürstabtei selbst die Hoheitskompetenzen. In der Cent Lauterbach, also dem alten Gerichtsbezirk, der u. a. die Dörfer Angersbach, Maar, Heblos, Rimlos, Reuters u. Wörth umfasste, setzte der Fürstabt die 1265/66 besiegten Ritter von Wartenberg als Vasallen ein. 

In den letzten Jahrzehnten des aussterbenden Geschlechtes von Wartenberg wuchs die Stadt erst allmählich an. Mehrere Gebäude entstanden in und um die Stadt: ein erstes Rathaus am Marktplatz wurde vermutlich errichtet, ein Stadtwirtshaus, mehrere Tore und Türme, ein Hirtenhaus und zaghafte Erweiterungen der romanischen Kirche fanden statt. Als die Herren von Wartenberg im frühen 14. Jahrhundert endgültig genealogisch erloschen und zuvor schon dem Druck der mächtigen Herren von Eisenbach immer mehr wichen, war Lauterbach eine kleine fuldische Landstadt, bestehend aus wenigen hundert Bauern, Ackerbürgern und Handwerkern. 

Die Herren von Eisenbach empfingen aus Fulda eine umfangreichere Begnadigung, nachdem ihr Stammschloss gleichen namens in der Fehde Ende der 1260er Jahre geschleift wurde. Eisenbach wurde wiedererrichtet und blieb Mittelpunkt der Gerichtsbezirke Engelrod und Hopfmannsfeld (Hersfeldische Lehen). Durch kluge Hochzeits- und Lehenspolitik verleibten sich die Eisenbacher die Gerichte Cent und Stadt (Vogtei) Lauterbach, Altenschlirf, Schlechtenwegen, Stockhausen, Landenhausen, Moos, Freiensteinau und Ober-Ohmen ein. Durch ihren Mischbesitz, bestehend aus Reichslehen, Fürstenlehen und Pfandschaften herrschten die Eisenbacher bis Ende des 14. Jahrhunderts über ein Gebiet, das die Festungen Ulrichstein und Eisenbach, sowie die Städte Schotten, Herbstein, Ulrichstein und Lauterbach umfasste. Größe und Bedeutung Lauterbachs machten es zur Hauptstadt dieses kurzlebeigen Lehensstaats-Gebildes. In der Blütezeit der Herren von Eisenbach, die zu Erbmarschallen Hessens aufstiegen, bekam Lauterbach ein neues, urbaneres Antlitz. Die Kirche wurde hochgotisch umgestaltet und vergrößert, die Burg erweitert, die Bürgerhäuser vermehrt. Eine Neustadt mit Burgmannenhäusern und Mühlen wurde um 1380 ummauert und die Vorstädte Wörth und Wichhaus begannen sich prächtig zu entwickeln. 

Einschneidend wurden nach dieser Periode relativen Wohlstands die Jahre 1429 und 1450. In ersterem Jahr starben die Herren von Eisenbach aus und wurden nach längeren Verhandlungen und Rangkämpfen von den niederhessischen Uradligen Riedesel beerbt. 1450 starben wiederum die Grafen von Ziegenhain aus, die als fuldische Afterlehensleute die Lehensherren der Eisenbacher in der Cent Lauterbach waren. Als die Riedesel, dem östlichen Vogelsberg bis dato fremd, also Mitte des 15. Jahrhunderts Fuß zu fassen suchten, gerieten sie in Konflikt mit allen bisherigen und seit 1450 auch dem neuen Lehensherren. Die Pfandbesitze Schotten und Herbstein (zurück an Fulda) waren schon in Eisenbachischer Zeit abhandengekommen und bis Ende des 15. Jahrhunderts verloren die Riedesel dann auch Ulrichstein an Hessen. Die Kernlande der Riedesel umfassten daher zu Beginn der Frühen Neuzeit den Landstreifen südlich der Stadt Lauterbach bis hin nach Freiensteinau. 

Die Bürgermeister und Räte der Stadt Lauterbach betrieben seit der Ankunft der Riedesel im Vogelsberg eine opportunistische Politik. Mal wandten sich die Ratsherren klagend nach Fulda, um die Riedesel in ihren Regierungskompetenzen zu schmälern; mal klagte der Rat den Riedesel sein Leiden, um fuldische Landessteuern zu mindern. Sowohl die Fürstabtei, als auch die Riedesel erhoben zu Beginn der frühen Neuzeit den Anspruch auf die Landeshoheit in der Stadt, was zu ernsthaften Konflikten führte. 

Mit der Einführung der „Neuen Lehre“ 1527 suchte Ritter Hermann IV. Riedesel, die Stadt mehr und mehr von Fulda zu entfremden, doch eroberte das Stift Lauterbach im Zuge des Schmalkaldener Krieges. Immer wieder versuchten die beiden Parteien, sich die Stadt endgültig einzuverleiben, die inzwischen mit weit mehr als 1.000 Einwohnern zu einem ansehnlichen Zentrum von Kultur, Handel und Handwerk geworden war. 

Bis Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts wuchs die Stadt und bekam ein neues Gepräge. Aus dem Binnentor zwischen Alt- und Neustadt wurde der Stadtturm. 1525 errichteten die Riedesel ihre große Gaststätte „Zum Goldenen Esel“ vor den Toren der Stadt; gleichsam entstand der Fachwerk-Prunkbau des „Hohhauses“. Lauterbacher bekam einen neuen Friedhof, ein neues Rathaus und die Schlösser in Stockhausen und Eisenbach wurden umfangreich verbessert. 

Eine radikale Zäsur stellte der 1618-1648 andauernde Kriegszustand dar, der späterhin als „30jähriger Krieg“ bezeichnet werden sollte. Dauernde Geldleistungen, Einquartierungen, Plünderungen und Pestwellen dezimierten die Bürgerschaft und zerstörten den Wohlstand. Während die Spannungen nach Fulda durch die konfessionellen Unterschiede wuchsen, geriet die Stadt mit den Riedesel aufgrund des Streites um das Brau- und Schankrecht in der Stadt in Konflikt. 

Am Ende der Kriegsperiode war Lauterbach eine arme Landstadt ohne geregelte obrigkeitliche Zugehörigkeit. Der Stadtrat hielt Kontakt zu den Riedesel und Fulda und erhoffte sich eine bequeme Verhandlungsposition zwischen beiden Parteien, während die neuen, aus der Not entstandenen Handwerkszünfte Lauterbachs heftig mit den Riedesel sympathisierten und Fulda vollends ablehnten. 

Nach mehreren juristischen Auseinandersetzungen konnten sich die Riedesel 1684 in einem Staatsvertrag mit Fürstabt Placidus von Droste über Lauterbach einigen. Die Stadt und das strittige Gericht Freiensteinau wurden endgültig Teil des Riedesellandes, während Salzschlirf, Hauswurz, Rebsdorf und Neustall an Fulda fielen. Die Riedesel, inzwischen in den Reichsfreiherrenstand aufgestiegen, waren nunmehr souveräne Herren eines Landes, dessen Haupt- und Residenzstadt Lauterbach war. Im Zuge dessen wurde die alte Lauterbacher Burg zu einem prächtigen Ansitz, einer Schlossanlage ausgestaltet. 

Das Zustandekommen des Staatsvertrages 1684 war unter anderem dem Wirken des Riedeselschen Kanzlers und Amtmanns Kaspar Bernhard Melchior zu verdanken. Melchior war ein hervorragender Jurist, doch gleichsam in seiner Amtsführung korrupt. Zwischen 1693 und 1699 führte diese Korruption und führten seine Intrigen den jungen Staat in seine erste handfeste Krise. Innerhalb des Hauses Riedesel bekämpften sich die Zweige Altenburg und Burg-Lauterbach aufgrund einer Vormundschaft für den geisteskranken Erben des Schlosses Stockhausen. Innerhalb der Stadt wiederum bekämpften sich Stadtrat und zünftige Handwerkerschaft. Reichstruppen mussten im Riedeselland die Ordnung wiederherstellen und Amtmann Melchor floh in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Stadt. 

Die zweite, kleinere Krise des jungen Staates folgte auf dem Fuß: die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt erhob als Erbin der alten Ziegenhainischen Lehen landeshoheitlichen Anspruch auf das Centgericht Lauterbach und postulierte, die Stadt Lauterbach sei ein Teil davon. In einem zweiten Staatsvertrag von 1713 sicherten die Riedesel sich dann auch gegen diese Ansprüche ab. Die Stadt Lauterbach, Stockhausen, Landenhausen, Altenschlirf, Moos und Freiensteinau blieben Teile des souveränen Ritterschaftsstaates (fränkischer Ritterkreis, Kanton Rhön-Werra, Quartier Main-Saale); die Cent Lauterbach, das Gericht Engelrod und das Gericht Ober-Ohmen wurden hessisch-riedeselsche „Kondominate“, d. h. Gebiete mit geteilter Herrschaft. 

Das mittlere 18. Jahrhundert war für die Stadt geprägt von einem vorsichtigen Aufbruch. Nachdem die letzten Kriegsschulden von 1648 beglichen wurden, investierte die Bürgerschaft in stattliche Fachwerk-Häuser. Eine mittelständische Handwerkerschaft und Kaufmannschaft stand dennoch einem Heer an armen und mittellosen Kleinhandwerkern und Ackerbürgern gegenüber. Die Zünfte drängten auf Zölle, Einreise- und Einfuhrverbote, wirtschaftlichen Protektionismus; der Stadtrat verteidigte eisern die alte Marktfreiheit der Stadt. 

Die prägendste Epoche der bisherigen Stadtgeschichte begann für Lauterbach ausgerechnet mit dem Ausbruch eine neuen Krieges, der sieben Jahre dauern sollte. Anders als 1618-1648 wurde die Stadt jedoch nicht unmittelbar von Truppen angegriffen, geplündert oder gar wirtschaftlich vernichtet. Der regierende Bürgermeister Georg Ludwig Heuser schaffte es vielmehr, die Stadt durch geschicktes Taktieren in einen Warenumschlagsplatz der umliegenden, feindlichen Truppenkontingente zu verwandeln. Am Ende des Krieges hatte die Bürgerschaft daher weitestgehend die Finanzschäden eindämmen können. In den Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg bekam Lauterbach sein neues, barockes Gesicht, das schon von fern hin das Prädikat der Residenzstadt ausweisen sollte. Stadtkirche (1763-1769), Heusersches Palais (1765-1767), Darmstädter Haus (1766-1768), Archiv (1766-1769) und Hohhaus-Palais (1770-1778) bildeten die neue Silhouette rund um die alten Stadttore und Mauertürme. Und auch um die Stadt herum investierten die barocken Bauherren Riedesel: die Schlösser Stockhausen, Altenburg und Sickendorf wurden prächtige Residenzen; in Reichlos, Sassen und Ludwigseck entstanden anmutige Ansitze in Kleinformat. Eine kulturelle Blüte erlebte Lauterbach auf den Sektoren der Musik, der Malerei, der Medizin, der theologischen Bildung und der Handwerkskunst.  

Mit dem Beginn der Französischen Revolution erreichte neues Gedankengut die Stadt und befeuerte die unteren Schichten in ihrem Radikalismus gegen die Riedesel und die „Capitallisten“ am Marktplatz. Die Bettelei nahm zu und erste systematische Sozialsicherungen mussten errichtet werden. Insbesondere litt das Land unter der Seeblockade Napoleons 1806, da der bedeutendste Wirtschaftszeig, die Leinenweberei, vom Export nach Übersee abgeschnitten wurde. Die Kaufleute Diehm, Hoos und List tätigten hohe Spenden, um die Massen der Lohnweber nicht verelenden zu lassen. 

1806 löste sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf und durch Bonapartes Gnaden wurde das Gebiet der Riedesel annektiert und dem neuen Großherzogtum Hessen zugeschlagen. Bis zuletzt weigerte sich der Stadtrat standhaft „hessisch“ zu werden. 

Im Kampf um ihre alten Rechte erreichten die Riedesel lediglich, dass ihre ehemals souveränen Landesteile zur „Patrimonialgerichtsherrschaft“ wurden. Diese hessisch-riedeselsche Mischherrschaft traf die niederen Schichten der Dörfer und der Stadt am härtesten: Steueranstieg, Militärzwang und Akzise auf Ausfuhrartikel heizten die Stimmung auf. Auch der Umstand, dass das Riedeselsche Gebiet 1827 den Standesherrschaften gleichgesetzt wurde, änderte nichts an der katastrophalen Lage der Untertanen, die sich um die politischen Plänkeleien des Adels nicht scherten. Die Gründung des Lauterbacher Wochenblatts (später: Lauterbacher Anzeiger) informierte die Menschen über die politischen Vorgänge der Welt und der Gegend. Die Menschen begehrten erstmals offen gegen die Riedesel auf und 1848 eskalierte die Gewalt ungehemmt gegen die Schlösser, Häuser und Familienangehörigen der Freiherren. Lauterbach versank im Chaos und die Riedesel verloren das Gros ihrer verbliebenen Rechte an den großherzoglichen Zentralstaat in Darmstadt. 

Innerhalb eines halben Jahrhunderts war aus einer ansehnlichen Residenzstadt, bevölkert von stolzen „Riedeslianern“ und Handwerkern, eine bitter-arme Landstadt im Regierungsbezirk Alsfeld geworden, deren Bürgerschaft tief gespalten war. Der schwere und allmähliche Wiederaufbau der Wirtschaftsverhältnisse begann ab 1852: der Regierungsbezirk Alsfeld wurde nach vierjährigem Bestand aufgelöst und die Landkreise Lauterbach und Alsfeld traten an seine Stelle. 

Die ersten bedeutenden Wirtschaftsbetriebe der jungen Kreisstadt Lauterbach waren die Brauerei und die Dampfziegelei der Riedesel, dann aber auch die Privatbrauereien Krömmelbein und Dotzert, sowie die fabrikmäßigen Leinenwebereien von Diehm, List und Wenzel & Hoos. Neue Vereine und Firmen schossen aus dem Boden und die wirtschaftlichen Investitionen stiegen wieder an. Lauterbach hatte zwar im Vergleich zum 18. Jahrhundert an administrativer Bedeutung verloren, doch begann nun, wieder ein wirtschaftlich-zentraler Standort zu werden. Dementsprechend opferte der Stadtrat die alte Lateinschule, die Universitätspropädeutik betrieb, einer handwerklich-wirtschaftlich ausgerichteten Bürgerschule. 

Derjenige, der die stürmische Periode des Vormärz und des Wiederaufbaus prägend mitbegleitete, war der 32 Jahre lang amtierende Bürgermeister David Eifert. Zum Ende seiner Amtszeit leitete das greise Stadtoberhaupt noch wegweisende Maßnahmen ein: 1866 führte er die Straßenbeleuchtung mit Petroleum ein, 1868 die Telegraphenverbindung nach Schlitz und Alsfeld, 1870 den Baubeginn des Rathauses und des Bahnhofs an der Strecke Gießen-Fulda. 

Die Integration der Stadt Lauterbach und des Großherzogtums Hessen in das neue Deutsche Kaiserreich 1871 begleitete Eiferts Amtsnachfolger Theodor List. Unter seiner Ägide wurde aus den großherzoglich-hessischen Ortsbürgern der Stadt Lauterbach, die ursprünglich heftig mit Österreich und Großdeutschland sympathisierten, (klein-)deutsche Staatsbürger, die vom allgemeinen Aufschwung des vergrößerten Wirtschaftsraumes ungemein profitierten. 1887, nach dem Tod Lists, übernahm Alexander Stöpler das Stadtregiment und behielt es 35 Jahre lang. 

Lauterbach wuchs auf beinahe der Doppelte seiner Einwohnerzahl zu Beginn des Jahrhunderts. Fabriken, Kaufläden, Warenhäuser und Vereinsheime entstanden in ungeahnter Zahl. Fachpersonal aus Berlin, Frankfurt und den Ballungszentren des Reiches zog in die Stadt und gewährleistete den rasanten Ausbau der städtischen Industrie. Die neue Realschule brachte der Stadt wieder den Anschluss an das hessische Bildungssystem. 

Da im Fabrikdorf Lauterbach-Blitzenrod bei der weltgrößten Hutfabrik Wegener die erste Glühbirne im ländlichen Großherzogtum leuchtete, befand Bürgermeister Stöpler, Lauterbach solle auch flächendeckend mit Strom versorgt werden. 1899/1900 war Lauterbach eine der ersten Mittelstädte Hessens mit flächendeckender Stromversorgung und festigte seine Stellung. Neben der dominanten Casinogesellschaft, in der alle besseren Bürger Mitglied waren, dominierten die Religionsgemeinden das Leben der Stadt. Die alte protestantisch-lutherische Gemeinde behielt hierbei ihre Bedeutung, doch gesellten sich nun auch Katholiken und Juden dazu. Das integrierende Moment des neuen, deutschen Staatsbewusstseins schuf Aktionsräume, in denen alle Konfessionen miteinander agierten: in Gesangs-, Sport- und Arbeitsvereinen; insbesondere aber im Veteranen- bzw. Kriegerverein von 1875. 

Alexander Stöpler war in der wilhelminischen Epoche Lauterbachs Fels in der Brandung. Seine gemäßigte, nationalliberale Politik umfing die Stadt durch den ersten Weltkrieg hindurch bis in die frühen Weimarer Jahre. Auf den Dörfern des Vogelsberges und in den sozialen Unterschichten Lauterbachs wuchsen dahingegen Sozialdemokratie, Kommunismus und Antisemitismus als neue Strömungen heran. 

Krieg und schwere Jahre unterbrachen die alte Kontinuität in Lauterbachs Entwicklung seit 1852. Doch die erste Wahl nach neuem Recht, an welcher 1919 auch Frauen erstmals teilnehmen durften, brachte Stöpler einen weiteren Sieg ein. 1922 starb er im Amt und wurde vom SPD-Kandidaten Hermann Walz aus Vilbel beerbt. Die folgende Dominanz der Sozialdemokratie war stets fragil und stützte die junge Demokratie mithilfe der Deutschen Demokraten und Teilen der Konservativen. Wenige Kommunisten, aber immer mehr Nationalsozialisten griffen die politische Mitte an. 

Die Goldenen Zwanziger schlugen sich in der Stadt durch ein letztes Aufleben der Industrie und des Handels nieder: Schmalz, Ahlbrand, Wiechard und Kimpel gründeten gutgehende Steinmetz-, Elektro-, Werkzeug- bzw. Textilgeschäfte. Doch auch diese waren vor dem Einbruch der Weltwirtschaft nicht gefeit. 

Die Demokraten und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold boten der NSDAP in Lauterbach bis zuletzt Paroli, doch alle Parteien verzeichneten einen immensen Aderlass zugunsten der Hitler-Bewegung. 1933, nach der Machtübernahme in Berlin, setzten die Nationalsozialisten auch den Lauterbacher Bürgermeister Hermann Walz ab. Die verbliebenen SPD-Leute im Gemeinderat wurden unter Arrest bzw. Beobachtung gestellt. 

Die Lauterbacher Vereine wurden gleichgeschaltet, unliebsame Menschen mit Repressalien bedacht, verfolgt u. entfernt, und ständige Aufmärsche hallten durch die Straßen. Gipfelnd im Synagogenbrand und der Deportation der Juden folgte das Gros der Stadt den Nationalsozialisten willfährig in den Zweiten Weltkrieg, welcher der Bürgerschaft zwar empfindliche Verluste beibrachte, doch die Stadtsubstanz weitestgehend verschonte. 

Am Gründonnerstag 1945 von den Amerikanern eingenommen, wurde der SPD-Mann und Reichsbanner-Führer Georg Schwarz der erste Nachkriegsbürgermeister der Stadt, während der Liberale Gustav Mandt zum ersten Lauterbacher Landrat der neuen Demokratie wurde. In einer maßgeblich von FDP (Geißler), CDU (Visse) und SPD (Falk) gestalteten Stadtpolitik gelang es, Lauterbachs Notstände (Wohnraum, Energieversorgung, Infrastruktur) zu beheben. Da die Stadt nunmehr aber an der innerdeutschen Zonengrenze und zudem im ländlichen Raum lag, schwand die Attraktivität, die Wirtschaftskraft und die Perspektive Lauterbachs zunehmend. 1972, im Zuge der Gebietsreformen in Hessen, wurde Lauterbach die Kreisstadt des neuen, vergrößerten Vogelsbergkreises, der die alten Landkreise Alsfeld und Lauterbach in sich vereinte. 

Trotz etlicher Versuche der Rettung bzw. Wiederbelebung schwand das produzierende Gewerbe vermehrt aus dem Stadtbild. Die großen Hutfabriken, etliche Webereien, die Pressspanfabrik mit angeschlossener Reederei und viele Unternehmen mehr gingen unter. Mit ihnen schwand auch der Kernbotschafter der „Molkerei und Weichkäserei Lauterbach“, der Lauterbacher Strolch, der sich bis dahin als erfolgreicher Werbeträger der Stadt bewährt hatte. Und trotz großer Neu- und Umbauten im Altstadtbereich blieb die Stadt eines der Sorgenkinder Hessens in finanzieller Hinsicht und begab sich unter den „Schutzschirm“, der erhebliche Einschnitte nach sich zog. 

Seit 1996 ist Rainer Hans Vollmöller (CDU) das Stadtoberhaupt. Lauterbach ist aus dem Schutzschirm ausgestiegen und tätigt im geeinten Deutschland wieder Investitionen in die Zukunft. Auch in krisenbehafteten Zeiten haben sich in der Stadt Relikte der wechselhaften Vergangenheit als Botschafter der Zukunft erhalten: etwa eine der ältesten Metzgereien des Landes, Hessens älteste Familienbrauerei, Deutschlands größte und älteste Töpferei, sowie etliche Unternehmen mehr. Zeitzeugen wie Kirche, Burg, Hohhaus-Museum und wundervolle, historische Waldwege laden auch heute noch – 1200 Jahre nach der Ersterwähnung – zum Verweilen ein. 

Persönlichkeiten aus Lauterbach

Friederike Louise Charlotte Riedesel Freifrau zu Eisenbach geb. von Massow

Nachdem sie ihren Ehegatten Friedrich Adolf Riedesel (1746 in Brandenburg – 1808 in Berlin) im Lazarett kennenlernte, bekam Friederike geb. von Massow etliche Kinder. Mit diesen durchquerte sie zur Unterstützung ihres Mannes im Krieg die Welt und machte sich in Amerika einen großen Namen. Ihre Aufzeichnungen sind bis heute eine wichtige Quelle der Amerikanischen Revolution und zudem verbreitete die Freifrau den Brauch des Deutschen Christbaums in den oberen Schichten der Neuen Welt.

Alexander Stöpler

35 Amtsjahre verrichtete Alexander Stöpler (1848 in Lauterbach – 1922 ebenda) als Bürgermeister der Stadt Lauterbach. Zu seinen Lebzeiten entwickelte sich die einstmalige Landstadt zu einem oberhessischen Zentrum von Industrie und Handel. Stöpler war nicht nur der letzte Lauterbacher Bürgermeister des alten Großherzogtums Hessens, sondern auch seit 1919 der erste von der Gesamtbevölkerung demokratisch legitimierte Verwaltungschef der Stadt in den Jahren der Weimarer Republik. 

Albert Fink

Albert Fink (1827 in Lauterbach – 1897 in Ossining, New York]), der nach den Freiheitskämpfen 1848 aus Deutschland nach Amerika floh, wurde schnell ein führender Kopf des dortigen Eisenbahn-Baus. Als Konstrukteur von Brücken erwarb er sich einen guten Ruf und baute bald die längsten Fachwerk-Eisenbahn-Brücken der USA. Bis ins hohe Alter reiste er in alle Welt; besuchte auch mehrfach seine Heimatstadt Lauterbach, ehe er in Übersee, berühmt und wohlhabend starb.     

Adolf Spieß

Adolf Spieß (1810 in Lauterbach – 1858 in Darmstadt), der in einem Fachwerkhaus hinter der Lauterbacher Stadtkirche geboren wurde, war ein Pionier des deutschen Schulturnens. Seine Idee vom Turnen als Erziehungsmittel der Jugend prägte eine ganze Generation. 

Helene Mandt

Die weltoffene Idealistin Helene Mandt (1907 in Lauterbach – 1938 in Dessau) stammte aus einem Lauterbacher Künstlerhaushalt. Entgegen ihrer Vernunft verliebte sie sich jung in den späteren ranghohen Nationalsozialisten Rudolf Jordan und geriet in den Blickpunkt der Partei. Da sie vielfach bei Nazi-Größen mit ihrem Verhalten aneckte, musste sie sich als junge Mutter mit einer Pistole das Leben nehmen. 

Moritz Riedesel

Baron Moritz Riedesel (1849 in Darmstadt - 1923 ebenda) war als großherzoglich-hessischer Oberstallmeister einer der engsten Vertrauten des Monarchen Ernst Ludwig und seiner Schwester Alix, die sich mit Zar Nikolaus II. von Russland verheiratete. Als enger Brieffreund der gebürtigen Hessin war Riedesel immer auf Tuchfühlung an der Pulsader des europäischen Schicksals. Für seine Heimatstadt setzte er sich vielfach wohltätig ein. 

Eleonora Rebecca Hegelund

Als junge Frau lernte Eleonora Rebekka Hirth (1725 in Langensalza – 1793 in Lauterbach) den Drucker Metsch kennen und zog mit diesem nach Lauterbach. Da ihr Mann jedoch bald starb, musste sie sich um die Weiterführung der Druckerei kümmern. Bald ehelichte die Witwe ein zweites Mal, und zwar ihren Gesellen Thomas Hansen Hegelund, den sie aus Dänemark nach Lauterbach lockte. Nach seinem Tod führte sie die erfolgreiche Druckerei mit Verlag noch über ein Jahrzehnt. Einige der wichtigsten Schriftzeugnisse der Stadt entstanden unter ihrer Verantwortung.

Bürgermeister seit 1803

Wussten Sie schon...?

Ein wandernder Strumpfmachergeselle zog auf Schusters Rappen durch die Welt. Auf seiner Wanderschaft kam er just nach Lauterbach, wo diese Zunft seit eh und je ansässig war. Im schönen Lauterbach zu bleiben, hatte er sich vorgenommen, nachdem er bei einer respektablen Meisterin Aufnahme gefunden hatte. Die Meisterin fand den Gesellen recht tüchtig und auch sonst recht ansehnlich.

Während des langen Winters kam man sich auch menschlich näher. Das warme Nest, das die Meisterin dem Gesellen bereitete, kam ihm sehr zustatten, und er fühlte sich immer wohler. Die Meisterin durfte sich der Hoffnung hingeben, dass der Geselle sich in Lauterbach sesshaft machen würde, alle Anzeichen deuteten darauf hin. Eine feste Bindung erhoffte sie sich, und der Gedanke ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Ja, sie beschäftigte sich so sehr damit, dass sie die Veränderung, die sich am Ende des Winters bei dem Gesellen im Verhalten einstellte, nicht bemerkte. Mit dem herannahenden Frühling wurde er immer unruhiger. Als die Sonne immer höher stieg und die Vögel anfingen zu zwitschern, da hielt es der Geselle nicht mehr aus. Die Wanderlust wurde so stark, dass er von einer zur anderen Stunde der Meisterin offenbarte, dass es ihn wieder in die Ferne treibe. Diese Offenbarung überraschte die Meisterin doch sehr und versetzte sie in große Erregung. Sie wollte retten was zu retten war und versuchte zunächst alles, um den Gesellen zu halten. Vergeblich, der Handwerksgeselle schickte sich an seinen Ranzen zu schnüren. Das war der Meisterin zu viel. Der Abschied überstürzte sich, die restlichen Habseligkeiten wurden etwas unsanft mitsamt dem Gesellen von der Meisterin durch die Tür befördert. Am Stadtrand angekommen, ordnete der Handwerksgeselle seine Habseligkeiten. Dabei stellte er fest, dass ein Strumpf fehlte. Er hatte ihn bei dem überstürzten Aufbruch verloren.

Der Handwerksgeselle wanderte wieder von Herberge zu Herberge, und erinnerte sich immer stärker an die schöne Zeit bei der Meisterin in Lauterbach. Eines Tages traf er einen fahrenden Musikanten, dem er oft und viel von Lauterbach und seinem Erlebnis erzählte. Dieser fand daran so viel Gefallen, dass er ein Lied daraus machte. Sie sangen es gemeinsam in so mancher Herberge, bis es schließlich zu einem Volkslied wurde.

Eine Nacherzählung nach einer alten Überlieferung von Kurt Habicht

Heute ist der Prämienmarkt für seine ausgelassene Stimmung, den Vergnügungsmarkt an der Bleiche und die große Tierschau bekannt.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Markt damals einen ganz anderen Hintergrund hatte. So war er ein Weg aus einer Krise heraus und Grundlage für viele Existenzen: Die Einführung des Marktes hängt mit der vorhergehenden Agrar- und Viehwirtschaftskrise in Mitteleuropa nach dem Siebenjährigen Krieg 1756-1763 zusammen. Die Riedesel haben der Stadt Lauterbach den Markt mit der Hoffnung genehmigt, dass die Viehzüchter durch „Prämien“ (daher auch der Name „Prämienmarkt“) wieder zur Intensivierung der Zuchtmaßnahmen und zu Investitionen gebracht werden. Dieser Einfall funktionierte auch. Schon in den ersten Jahren war der Prämienmarkt ein großer Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Viele Gewerbe lebten von der Viehzucht. Mit dem sogenannten „neue Viehmarkt“ wurden die dörflichen Gegenden immer mehr an den Wirtschaftsstandort Lauterbach gebunden und man hat neue Märkte für das ansässige Gewerbe gewonnen. Über die Jahre entstand dann unser Prämienmarkt, wie wir ihn heute kennen.

Lauterbach ist für einige kulinarische Spezialitäten bekannt. Den Salzekuchen gibt es - auch in einer vegetarischen Variante - regelmäßig frisch bei den ortsansässigen Bäckereien. #typischlauterbach

Salzekuchen

Der Salzekuchen ist ein Kuchen mit einem Boden aus Brotteig und einer Kartoffelmasse mit Speck. Allerdings gibt es den Kuchen auch vegetarisch. Traditionell wird zum Salzekuchen ein schwarzer Kaffee getrunken.

Lauterbacher Bier

Das Lauterbacher Bier kommt aus Hessens älteste Familienbrauerei, die 1527 gegründet wurde.

Beutelches

Beutelches besteht aus einem Kloßteig mit Speck und anderen Zutaten, die in einem Leinenbeutel in heißem Wasser gegart. Auch hier gibt es mittlerweile eine Variante ohne Speck.