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Ranking: Die 10 amtsältesten Bürgermeister der Stadt Lauterbach
Seit dem Spätmittelalter wählt die Bürgerschaft der Stadt Lauterbach nach demokratischen Prinzipien ihr Stadtoberhaupt. Nach zunächst alljährlichen Wahlen, werden seit einer Reform 1821 die Verwaltungschefs der Stadt für längere Amtsperioden zugelassen. Je nach Länge und Intensität ihrer Amtsführung prägten und prägen sie das Bild der Stadt und ihrer Infrastruktur. Deshalb werden hier die zehn Bürgermeister mit den längsten Regierungsperioden dargestellt.
Eine Artikelserie von Till Hartmann
Als Johann Friedrich Diehm 1773 in Lauterbach geboren wird, untersteht die Stadt der Landeshoheit sämtlicher Riedesel Reichsfreiherren zu Eisenbach, Erbmarschalle zu Hessen. Lauterbach ist Haupt- und Residenzstadt eines Kleinstaates und gliedert sich in Beamtenviertel, gutbürgerliche Quartiere und ausgedehnte, suburban anmutende Vorstädte.
Als Sprössling von Lauterbachs reichster Familie, die ihr Geld mit überseeischem Handel und Bankgeschäften verdient, steht dem jungen Diehm die Welt offen. Sein Vater und sein Großvater waren bereits Bürgermeister der nunmehr knapp 2.500 Einwohner zählenden Stadt. Doch während selbst sein Bruder ein gutes Verhältnis zu den Riedesel pflegt, polarisiert Friedrich Diehm mit lautstarken, demokratischen Parolen und ist als Jugendlicher ein feuriger Verehrer der Revolution in Frankreich und ihres Anführers Napoleon.
Nachdem das Land der Riedesel 1806 annektiert wird und dem neu-gekürten Großherzog von Hessen zugesprochen worden ist, leidet die Stadt schwere Jahre. Die Wirtschaft stockt, die politische Unsicherheit hemmt Investitionen und die Armut nährt die Kriminalität. In seinen sechs Amtsjahren 1825 bis 1831 ist Diehm bemüht, seine Heimatstadt in das Großherzogtum zu integrieren und ficht verbittert gegen die verbliebenen Hoheitsrechte der Riedesel. Obwohl er sich dabei auch als Advokat des kleinen Mannes präsentiert, bringt er viele Kleinbürger gegen sich auf. Sein protziges, nach venezianischen und toskanischen Bauplänen gefertigtes Warenkontor, genannt „das Palazzo“, errichtet er kurz vor Amtsantritt vis-á-vis zu den winzigen Holzhäusern seiner Lohnweber am Graben.
Diehms Reichtum hilft ihm bei der Amtsführung. Die bitter-armen Bauern beschäftigt er in schlechten Erntejahren zu privaten Zwecken: so errichtet er wildromantische Wanderwege entlang der Lauterbacher Berge und Kuppen. Großartige Gartenanlagen und Plantagen entstehen. Damit jedoch langfristig die Wirtschaftskraft der Kleinbürger wieder steigt, stößt der Bankier und Bürgermeister die Verbesserung der Infrastruktur an. Am Ende seiner Amtszeit werden die Chausseen von Lauterbach nach Herbstein und nach Alsfeld runderneuert sein.
Angesichts der mannigfaltigen Revolutionsaufstände in Europa 1830 bleibt jedoch auch Lauterbach nicht verschont. Wenn auch schlimmere Gewaltexzesse verhindert werden, kocht die Stimmung in der Stadt. Der als gutaussehend und gebildet beschriebene Bürgermeister tritt schließlich sein Amt an Johann Adam Hoos ab und widmet sich seinen Hobbys: der Jagd und ausgelassenen Feiern.
Der Stadtpolitik bleibt Friedrich Diehm im weitesten Sinne erhalten. Als Mitglied der Casino-Gesellschaft gehört er Lauterbachs exklusivster Honoratioren-Riege an, die sich zwar im Vorfeld der Revolution 1848 spaltet, doch hiernach wieder zusammenfindet.
Mit seinen Mitbürgern und sogar den Riedesel weitestgehend befriedet, stirbt Friedrich Diehm 1854 im hohen Alter von 81 Jahren, eine Schar an Kindern und Enkeln hinterlassend.
Konrad Peter II., Sohn einer kleinen Lauterbacher Bäckerei, war in den Jahren 1934/35 erster, ordnungsgemäß eingesetzter NS-Bürgermeister der Stadt. Sein plötzlicher Tod 1935 trifft die Stadtverwaltung und die Partei unerwartet.
Auf der Suche nach einem neuen Bürgermeister nimmt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ganze 47 Bewerbungen aus verschiedenen Regionen Hessens und des Dritten Reiches entgegen. Darunter befindet sich auch das Gesuch des 1899 geborenen Friedrich Thiele. Der 36 Jahre alte Gutssekretär aus dem Dörfchen Wisselsheim bei Bad Nauheim gilt innerhalb der Partei als „tüchtig“ und verwaltungserfahren. Unter den vielen geeigneten Bewerbern setzt er sich schlussendlich durch.
Als Gutssekretär gilt „Fritz“ Thiele die Sparsamkeit als heiliges Gebot. Die hohen Kapitalschulden der Stadt aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges und aus den teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der eigenen Partei will er drastisch verringern. Während er Infrastruktur-Maßnahmen am Elektrizitätswerk oder etwa im Bauwesen hintanstellt, erhöht er kommunale Steuern, um das Finanzwesen sprunghaft – und tatsächlich mit einem gewissen Erfolg – zu sanieren.
In der Stadt genießt Thiele ein hohes Ansehen. In den bessergestellten Kreisen wird er für wirtschaftlich weise erachtet; die unteren Bevölkerungsschichten schätzen seine ruhige, unverwüstliche Parteitreue. Besonders die wachsende NS-Anhängerschaft in der Stadt, inzwischen eine breite Mehrheit, weiß sich mit Thiele als Verwaltungsleitung glücklich.
Wenn Thiele auch als gemeinhin ruhig und verhältnismäßig besonnen gilt, so duldet und billigt er ohne Zögern und Einwände die Deportation von etlichen Lauterbacher Juden, Behinderten oder politischen Gegnern. Zwar zeichnet er sich nicht persönlich verantwortlich für etliche Gräueltaten in der Stadt, doch hält er seine schützende Hand etwa über diejenigen Mitwisser und Parteigenossen, die den Synagogenbrand in der Stadt initiierten.
In seinen neun Amtsjahren reift Thiele zu einem Gesicht des NS in Lauterbach heran. Als 1945 das Dritte Reich untergeht und auch Lauterbach befreit wird, schaut die Bürgerschaft mit ambivalenten Gefühlen auf Thieles Zeit. Gegenüber Kreisleiter Zürtz und anderen lokalen NS-Größen gilt er retrospektiv im positiven Sinne als blass und passiv. Gegenüber den Nachbarkommunen profilierte er die Stadt jedenfalls in finanzieller Hinsicht.
Thiele muss 1945 im Zuge der amerikanischen Maßnahmen gegen Mandatsträger der NS-Partei das Lauterbacher Rathaus räumen und zieht zurück in die Heimat seiner Familie, nach Goslar am Harz. Als er dort 1957 stirbt, widmen ihm Lauterbacher Bürger einen wohlwollenden Nachruf. Als nachhaltige Errungenschaften Thieles rechnet man ihm jedenfalls die Umwandlung der Realschule zum Gymnasium an, sowie die Eingemeindung der Dörfer Blitzenrod und Rudlos nach Lauterbach.
Der Lauterbacher Otto Falk, Jahrgang 1928, schlägt bereits mit zarten 14 Jahren eine Laufbahn in der Stadtverwaltung ein. Seit seiner Anstellung 1942, mitten im Krieg, der sein Kindes- und Jugendalter prägt, lernt Falk das Grauen der Not und des Elends ganz neu kennen. Unter Bürgermeister Thiele von der NSDAP schließt er 1945 seine Lehrzeit ab.
Als Fritz Thiele geht und Fritz Geißler als neuer Bürgermeister kommt, bleibt Falk ein junger Fels in der Brandung der Nachkriegsstadtverwaltung. Da ihm soziale Themen besonders am Herzen liegen, fühlt er sich moralisch zu politischem Engagement verpflichtet, findet in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands eine Heimat.
Mit dem Jahr 1973 beginnt Falk vermehrt, die Politik und das Gesicht der Stadt Lauterbach zu prägen. Unter Bürgermeister Willi Fiedler wird er in diesem Jahr mit hohen Würden im Stadtrat beehrt, steigt gar von 1977 bis 1983 zum Hauptamtlichen Ersten Stadtrat auf. Als solcher zeigt sich der tief verwurzelte Politiker aufgeschlossen für den Schulneubau an der Wascherde, aber auch für das starke Wirken der Vereine und der kulturellen Institutionen in der Stadt.
Nach Jahren politischer Profilierung gewinnt Falk ein derartiges Ansehen und Vertrauen in der Stadt, dass er die Bürgermeisterwahl 1987 für sich entscheiden kann. Die Bürgerschaft kennt und schätzt Falk für seine Ideen und sein Wesen. Nach einer erfolgreichen Amtsperiode des CDU-Bürgermeisters Rainer Visse führt Falk die SPD nach Jahren der Abstinenz wieder ans Stadtregiment.
Falks Zeit als Bürgermeister ist geprägt von hohen Investitionen in die gesellschaftliche Infrastruktur, aber auch von Lauterbachs schwieriger Lage am Zonenrandgebiet, welche die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Stadt enorm hemmt. Während Lauterbach ein neues Schwimmbad bekommt und mit der Eishalle eine wichtige neue Hauptattraktion, gestaltet sich die Führung der Stadtfinanzen zunehmend schwierig. Falk kämpft an vielen Fronten gegen eine Unsumme an kommunalpolitisch unverschuldeten Problemen.
Als positives Signal der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung der Stadt gilt die Wiedervereinigung Deutschlands 1990. Aus einer Stadt am Zonenrand erwächst eine traumhafte Mittellage im Herzen eines zusammenwachsenden Europas. Falk führt die Stadt und ihre Bürgerschaft symbolisch in die neue, geeinte Bundesrepublik, ehe er ehrenvoll 1996 aus Altersgründen des Amtes scheidet. Von den Gremien der Stadt Lauterbach erhält Falk den Titel eines Ehrenbürgermeisters.
Bis 2018, bis zu seinem letzten Atemzug, bleibt der SPD-Mann seiner Heimatstadt treu, die ihn durch den Krieg und die Nachkriegszeit, durch Not, aber auch durch Tage und Wochen der Hoffnung trug. Als sein Erbe in der Kommunalpolitik wünschte er sich stets ein offenes und sachliches Miteinander der Politiker zum Wohle der Menschen.
Insgesamt neun Amtsjahre verbringt der Kaufmann Adam Hoos als Bürgermeister Lauterbachs. Dabei spaltet sich sein Dienst an der Bürgerschaft in zwei Amtszeiten: von 1822 bis 1825 ist er der erste Bürgermeister nach der Liquidierung der alten Lauterbacher Stadtverfassung 1821. 1831 bis 1837 beerbt er Friedrich Diehm Junior in schwerer Stunde.
Hoos kommt 1775 in Lauterbach zur Welt und gehört den wenigen, reichen Honoratioren-Familien an. Das Alte Reich, das Riedeselsche Lauterbach und seine Stadtverfassung lernt er noch allzu gut kennen. Seit Alters werden die beiden Konsuln der Stadt (ein Junior- und ein Senior-Bürgermeister) am Michaelis-Tag alljährlich gewählt. Die Wahl ist frei und findet ohne Beeinflussung Dritter direkt durch die Bürgerschaft statt. Doch nachdem die Riedesel und ihr Land an Hessen fallen, ändern sich maßgebliche Privilegien und Gerechtsame der Stadt drastisch.
In der Gemeindereform 1821/22 wird der Vorort Wörth nach Lauterbach eingemeindet, doch die Bürgermeister der Stadt werden künftig nach beaufsichtigter Wahl durch die Riedesel präsentiert. Durch solche neuen Ehrenrechte versucht das Großherzogtum die Adligen angesichts des Verlustes ihrer Souveränität zu entschädigen. Für die Bürgerschaft gleicht diese neue Praxis einem Affront und wird zum Aufhänger entflammender Wut. Hoos ist unter diesen Umständen der erste Großherzoglich-Hessisch-Freiherrlich-Riedeselsche Bürgermeister der Stadt und muss vielfach die Wogen aufbegehrender Bürger glätten.
In seiner zweiten Amtszeit 1831-1837 stehen in Lauterbach große Veränderungen ins Haus. Hoos engagiert sich in der kommunalen Schulaufsicht – Realschule und Mädchenschule werden verstärkt bezuschusst. Durch die Etablierung des Lauterbacher Wochenblattes – später des Lauterbacher Anzeigers – verfügt Hoos erstmals über ein wirkmächtiges Kommunikationsorgan. Die durch die Lokalpresse gesteigerte Politisierung der breiten Massen ist für das Stadtoberhaupt Chance und Gefahr zugleich.
Gegen die hohe Kriminalität fordert der Bürgermeister erfolgreich bei der großherzoglichen Regierung die Errichtung eines Landgerichts-Gefängnisses, welches am Landknechtsweg zu Beginn der 1830er Jahre gebaut wird. Weiterhin versucht er das lahmende Wirtschaftsleben durch die Verbesserung der Straßen, wie sein Amtsvorgänger Diehm, zu verbessern. Doch Hoos Straßenbauprogramm ist revolutionär: die bisher über die Kuppe des Hainigs führende Staatsstraße nach Fulda lässt Hoos ins Tal der Lauter über Angersbach verlegen. Der schnellere und sicherere Warenfluss über diese Straße soll späterhin Stadt und Umland erhebliche Vorteile bescheren und belebt die passierten Städte und Dörfer.
In seinem siebten Lebensjahrzehnt verlassen den stark übergewichtigen und immer wieder kränkelnden Bürgermeister allmählich Kraft und Wille. Als dann die Stadt gegen die Riedesel wegen des Jahrholz-Deputats vor Gericht ziehen muss, versagt Hoos das Herz. Er stirbt im Amt und hinterlässt eine klaffende Lücke mitten in politisch unsicheren Zeiten.
1922 trägt die Stadt Lauterbach mit ihrem Altbürgermeister Stöpler symbolisch auch die Kaiserzeit zu Grabe. Doch freilich gehört die Stadt unlängst zur neuen Republik und zum neu-konstituierten Volksstaat Hessen.
Wer auch immer neuer Bürgermeister der Stadt wird, muss in große Fußstapfen treten. Unmittelbar vor dem Krieg hatte die Stadt wahre Blütejahre erlebt und ist nunmehr in ein Loch der Rezession und der Not gefallen. Kaum ein Bürgermeister dürfte bei Amtsantritt schwierigere Vorbedingungen gehabt haben, als 1922 Hermann Walz, der erste SPD-Mann an der Lauterbacher Verwaltungsspitze.
Der 1887 in Lich geborene Handwerkersohn Walz, der vor seiner Bürgermeisterei in Lauterbach als Stadtbaumeister in Bad Vilbel hervorragende Arbeit leistete, tritt sein Amt in einem politischen Wespennest an. Gleich in seinem ersten Jahr, während der Hyperinflation 1923, werfen ihm seine Gegner öffentlich seine Solidarisierung mit den Ärmsten der Armen vor: Walz meidet den Besuch von Kinos und Theatern in Lauterbach und Salzschlirf, weil sich viele dieses Vergnügen dieser Tage nicht leisten können. Die Kinobesitzer von Salzschlirf und Lauterbacher Kulturtreibende wettern lautstark gegen Walz, bezeichnen ihn als Rattenfänger und Demagogen.
Unbeirrt von allen Steinen, die ihm in den Weg gelegt werden, schreitet der kahlköpfige, immer gut gekleidete Bürgermeister zur Entwicklung der Stadt voran. Durch den Neubau von großzügigen Amtsgebäuden am Südbahnhof schärft er Lauterbachs Profil als Verwaltungssitz und somit auch seine wirtschaftliche Zentralität. Durch die Anlage einer Umgehungsstraße, die Einrichtung von Post-Autobussen und die Förderung der wichtigen Infrastruktur (z. B. Eichhof-Krankenhaus) macht er Lauterbach attraktiv für junge Unternehmer. In den elf Amtsjahren Walz siedeln sich mehrere wichtige Wirtschaftsbetriebe in Lauterbach an: darunter das Elektrofachgeschäft Ahlbrandt, der Steinmetz- und Baubetrieb Schmalz, Wiechards Speziallager für Werkzeuge oder das große Modehaus Kimpel – allesamt Lauterbachs Tore in eine moderne, zukunfts-optimistische, neue Welt.
Für die wachsende Arbeiterschaft der sich sprunghaft vergrößernden Stadt mit ihren 4.700 Einwohnern weiß der alte Baumeister den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben. Ein neues Freibad entsteht im „Steinigsgrund“ und eine großartige Gedächtnishalle am Friedhof dient nach Walz und seines Stadtbaumeisters Willen als Anker der Erinnerungskultur, deutschen Stolzes und gesunder Bewältigung des vergangenen Krieges.
Durch seine überaus erfolgreiche Amtsführung gewinnt Walz auch das Vertrauen der bürgerlichen Partei-Gruppierungen Lauterbachs auch rechts der Mitte. Konservative und Liberale unterstützen ihn in seiner stadtplanerischen Agenda. Doch ehe Walz sich versieht, fällt auch er der Machtergreifung der NSDAP im Reich zum Opfer. 1933 räumt er seinen Posten zugunsten eines eingesetzten Übergangskommissar Dr. Mahr aus Darmstadt. Aus Dankbarkeit für seine Dienste setzt die Bürgerschaft der Stadt wenigstens ein Ruhegehalt für das zwangspensionierte Stadtoberhaupt durch.
Walz überlebt den Krieg und findet in seiner Geburtsstadt Lich eine neue, alte Heimat. Hier engagiert er sich als Stadtrat und stirbt schließlich 1957 ebenda. Seine elf Lauterbacher Jahre, die jäh vom Nationalsozialismus beendet wurden, waren der Stadt retrospektiv wirtschaftlich und kulturell ein Gewinn.
Der 1812 geborene Lauterbacher Bürgersohn Theodor List entstammt der örtlichen Industrie. Seine Ahnen waren schwerreiche Leinenfabrikanten und hielten engen Kontakt zu den führenden Adelshäusern Europas, die man mit feinen Geweben belieferte.
Eigentlich ist Theodor List 1870/71 einer Kandidatur zum Amt des Bürgermeisters abgeneigt, zählt es doch noch als Ehrenamt mit geringer Aufwandsentschädigung. Doch nach den turbulenten Entwicklungen der letzten Jahre, inklusive zweier Kriege gegen Preußen und Frankreich, sieht er sich verpflichtet, die durch den Tod seines Amtsvorgängers aufgetane Lücke gewissenhaft zu schließen. Viele größere Umbrüche in der Stadtentwicklung sind bei seinem Amtsantritt bereits angestoßen und werden von List nunmehr zu Ende gebracht. Unter ihm rollt die erste Dampflokomotive am Lauterbacher Nordbahnhof ein; unter ihm wird das neue Rathaus als vergrößerter Verwaltungssitz fertiggestellt.
List begreift sein Amt erstmals aktiv politisch. Als er 1872 zusätzlich zu seinem Bürgermeister-Amt in die Zweite Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen als Landtagsabgeordneter einzieht, bekennt er sich als Anhänger der Nationalliberalen Partei (NLP). Für List gilt es, den einigen Nationalstaat als außenpolitisches Sicherheitselement zu befördern und gleichsam innenpolitisch die größtmögliche Freiheit des Individuums und der Wirtschaft per se einzustellen. Dieses Unterfangen stößt in Lauterbach nicht immer auf Gegenliebe, ist doch die jüngst erfolgte Kleindeutsche Lösung des Nationalstaates unter Ausschluss Österreichs nicht die präferierte Variante der meisten Bürger.
Unter List fängt das bürgerliche Gewerbe- und Wirtschaftsleben von Neuem zu prosperieren an. Während er der Freifrau Anna Riedesel seine Unterstützung bei der Einrichtung eines zentralen Krankenhauses zusichert und somit einen wichtigen Standortfaktor fördert, siedelt im benachbarten Blitzenrod (noch nicht eingemeindet) die Hutfabrik Wegener an. Nicht nur hier entstehen mannigfaltige neue Arbeitsplätze; mit der mechanischen Wollspinnerei Ungemach und der Molkerei im Burghof entstehen späterhin erfolgreiche Unternehmungen unter Lists Wohlwollen.
Gesellschaftlich und politisch begrüßt List großbürgerlich-getragene Projekte. Der Kriegerverein, gegründet von Veteranen des Krieges 1870/71, wird bald tragende Kraft des öffentlichen Lebens mit Musik, Theater und vaterländischen Festen. Durchaus darf die Zeit Lists als diejenige gelten, in welcher Lauterbach in das neue Deutsche Reich hineinwächst und alte, innerdeutsche Misshelligkeiten aufzubrechen beginnt. Zum Ende seiner Amtszeit siedelt sich zudem eine israelitische Religionsgemeinde in der Stadt an.
Altersmüde und abgeschafft stirbt auch Bürgermeister List, wie seine beiden Vorgänger, im Amt. 1887, am Vorabend des Dreikaiserjahres, tragen ihn die Bürger dankbar zu Grabe.
Nachdem Fritz Geißler von der FDP 1954 Lauterbach gen Nauheim verlässt, wird der gebürtige Darmstädter Willi Fiedler zum Bürgermeister der Kreisstadt gewählt. Fiedler, der sich als Student bereits dem liberalen und konservativen Spektrum verschrieben hatte, ist Verwaltungsfachmann durch und durch und nährt die Hoffnung des jungen Nachkriegs-Lauterbach, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt.
Als Absolvent der Verwaltungsfachschule in Speyer besitzt Fiedler das Rüstzeug, die Stadtverwaltung zu modernisieren und zu strukturieren. Seine Eloquenz und seine in ihrer Gesamterscheinung gelungenen Auftritte bringen Fiedler die Sympathien der Wählerinnen und Wähler ein. Dabei ist Fiedler geradezu ein Arbeitstier und hat Mammutaufgaben an jeder Front zu bewältigen.
Die Lauterbacher Schulen erfahren eine besondere Zuwendung. An der Wascherde entsteht ein Neubau; das Gymnasium wird erweitert und das Volksbildungswerk wird zur Volkshochschule transformiert – an der Adolf-Spieß-Halle investiert Fiedler hohe Summen in den Aufbau der Außen-Sportanlagen. Auch die Berufsschule wird mit einem stattlichen Neubau ausgestattet.
Gleich zu Amtsantritt bearbeitet Fiedler das drängendste Problem der Stadt. Durch die Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland, aus Schlesien und vielen weiteren deutschen Ostgebieten wächst die Stadt nach 1945 von 5.600 auf zunächst 8.500 und späterhin über 9.000 Einwohner an. Mit der Hessischen Gemeinnützigen Arbeiterwohnungs-Baugesellschaft (HEGEMAG), der Gemeinnützigen Heimstätten-Baugesellschaft und der Baugesellschaft der Freiherren Riedesel stampft die Stadtverwaltung unter Fiedler hunderte Wohnungen für Beamte, Kriegsbeschädigte und Arbeiter jeder Fasson aus dem Boden. Fiedlers Investments machen sich bezahlt: durch seine und Geißlers Politik herrscht Mitte der 50er Jahre in Lauterbach die geringste Arbeitslosen-Quote der gesamten Region.
Mit staatsmännischem Weitblick entwickelt der gebürtige Süd-Hesse ein neues Selbstbewusstsein der Lauterbacher Bürgerschaft. Unter ihm gedeihen die Pfingst-Musiktage und die Hohhaus-Konzerte zu Publikumsmagneten. 1966 lässt er zum 700-jährigen Stadtjubiläum groß auffahren und engagiert die Verschriftlichung der Stadtgeschichte.
Mit starkem Rückenwind aus den Entwicklungen seiner 18 ersten Dienstjahre zieht Fiedler dann mit seiner Verwaltung in die Wirren der Gebietsreform 1972. Zwar gibt die Person Fiedler am Ende nicht den Ausschlag, dass Lauterbach statt Alsfeld die Kreisstadt des neu-gebildeten Vogelsbergkreises wird; doch ist diese Regierungsentscheidung ohne sein Wirken der letzten Jahre undenkbar. Für die verkehrstechnisch ungünstiger gelegene Stadt Lauterbach stellt er hiermit eine wichtige Zukunfts-Weiche.
1979 scheidet Fiedler aus dem Amt des Lauterbacher Bürgermeisters und wird zu seinem Bedauern von Frank Mudrack beerbt, der nach kurzem, unrühmlichem Intermezzo Rainer Visse von der CDU weicht. 1919 geboren, stirbt Fiedler im hohen Alter 2007 in „seinem“ Lauterbach, das ihm noch Jahre später würdig gedenkt.
Als Lauterbach 1996 einen neuen Bürgermeister sucht, hat sich die Stadt noch lange nicht von ihrer Jahrzehnte währenden Randlage unweit der innerdeutschen Grenze erholt. Allen Bemühungen zum Trotz, bleiben die Stadtfinanzen ein Sorgenkind der Verwaltung und somit auch der Bürgerschaft. Nichtsdestotrotz stellt sich der 1957 in Lauterbach geborene Rainer-Hans Vollmöller, Spross einer alten einheimischen Familie, zur Wahl und zieht als Sieger in das Rathaus ein.
Der Christdemokrat, der sich seit frühester Jugend für Politik interessiert und ein Eigengewächs der Lauterbacher Stadtverwaltung ist, hatte zuvor von 1987 bis 1996 als Bürgermeister der Stadt Gemünden Wohra gedient. Im Selbstverständnis als „erster Diener seiner Vaterstadt“ versucht er nun das scheinbar Unmögliche anzugehen und die maroden Stadtfinanzen zu regenerieren. Die Tugend der Sparsamkeit und der gezielten Investitionen, im Geiste Fiedlers praktiziert, katapultiert die Stadt aus dem Finanz-Schutzschirm des Bundes und eröffnet neue Entwicklungspotentiale. Trotz kritischer Stimmen aus der Bevölkerung, nunmehr durch höhere Ausgaben einen aktiveren Eingriff in die Stadtgestaltung vorzunehmen, fährt Vollmöller mit seiner Politik zwischen gegebener Vorsicht und Zukunftsoptimismus fort: neue Gewerbegebiete (z. B. „an der Gall“) oder der Neubau des Landratsamtes geben dieser Politik bald Recht und profilieren Lauterbachs Zentralität als Wirtschaftsstandort und Verwaltungssitz.
Erstmals seit Jahrzehnten etabliert Vollmöller wieder eine professionelle Stadtentwicklung im Sinne des Siedlungsbaus und der Gewerbeansiedlung in Lauterbach. Früchte dieses Vorgehens sind großzügige Baugebiete an den Hängen der hiesigen Hausberge Hainig und Alteberg sowie etwa das 2009 hier ansiedelnde Unternehmen Pfeiffer auf der Gemarkung des Ortsteils Wallenrod.
Den sich verkomplizierenden politischen Rahmenbedingungen bei seiner Amtsführung durch Bundes- und Landesgesetzgebung begegnet der Bürgermeister mit seiner nach alter Schule geschärften Klinge. Zwischenmenschliche Nähe und die Fähigkeit, die Liebe zu Lauterbach in fremden Herzen zu entfachen, wiegen vielfach die Benachteiligung der Stadt in Landes- oder Bundesförderverfahren auf. Mit dem Polizeipräsidium Osthessen, dem Finanzamt, der Außenstelle des Hessischen Amtes für Geoinformation und Bodenmanagement gewinnt die Stadt wichtige Zentraleinrichtungen der Landes-Infrastruktur.
Angesichts der gesamtdeutschen Entwicklung, dem Rückgang des produzierenden Gewerbes, setzt Vollmöller früh auf die Gestaltung und Förderung der Kultur und des Stadtlebens. Mit der Feier von 1.200 Jahren Lauterbach 2012, von 750 Jahren Stadtrechten 2016 und 340 Jahren Haupt- und Residenzstadt 2024 steigert er die Attraktivität nach außen und fördert gleichsam innerlich die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt in sich immer mehr diversifizierenden Zeiten.
2026 wird Rainer-Hans Vollmöller drei Dekaden als Bürgermeister von Lauterbach absolviert haben. Rathaus, Spieß-Halle, Infrastruktur und Finanzen hinterlässt er grundsaniert. Wichtige Projekte für die Zukunft der Stadt hat er angestoßen. Eine wichtige stadtpolitische Ära beendet er. Das alttestamentarische Credo seiner Amts-Antrittsrede 1996 „Suchet der Stadt Bestes“ wird er erfüllt haben.
Kaum ein Bürgermeister Lauterbachs hat so turbulente und wechselvolle Jahre im Rathaus der Stadt verlebt, wie der 1799 als Sohn eines hiesigen Schmiedes geborene David Eifert.
1832 tritt der junge Eifert als Beigeordneter des Bürgermeisters Hoos den Dienst an der Stadt Lauterbach – ehrenamtlich – an. Nach dem Tod seines Vorgesetzten folgt er ihm 1838 im Amt und führt die angestoßenen Verrichtungen nahtlos fort. In erster Linie prozessiert Eifert als Stadtoberhaupt vor Gericht gegen die Riedesel Freiherren zu Eisenbach, die wegen des Jahrholzes, einer wichtigen Energiefrage, mit ihren einstmaligen Untertanen im Streit liegen.
Während die Riedesel und einige Großbürger erste Industrieanlagen in der Stadt betreiben, wächst in den unteren Klassen die existenzielle Not. Der geerdete, volksnahe Bürgermeister kümmert sich um die Anliegen und muss trotz laufender Rechtsstreitigkeiten auch zusammen mit den Riedesel Lösungen einer Stadtentwicklung finden. Die Fabriken evozieren vermehrt Akkord- und Lohnarbeit; die Arbeitstage werden länger. Die Riedesel, einige Beamte, Bürger und Eifert als Kopf der Stadtverwaltung steuern den neuen Umständen mit der Einrichtung der Kleinkinderbewahranstalt oder einer Leihkasse für Arme entgegen.
Nichtsdestotrotz kommt es in Lauterbach im Zuge der europaweiten Aufstände 1848 zu Gewaltexzessen gegen die Riedesel und die bürgerlichen „Capitallisten“, wie die Aufrührer schimpfen. Die Stadt versinkt zeitweilig im Chaos. Eiferts größte Herausforderung ist Lauterbachs andauernde Identitätskrise im 19. Jahrhundert. Bei seiner Geburt ist Lauterbach Hauptstadt eines souveränen Landes, 1806 wird es Sitz der hessisch-riedeselschen Patrimonialgerichtsherrschaft, 1827 zum Sitz der „Quasi-Standesherrschaft“ Riedesel, ehe es 1848 zu einer hessischen Landstadt im Regierungsbezirk Alsfeld absinkt.
Doch 1852 beginnt unter Eifert eine neue Ära des Muts und der Zuversicht. Als erster Bürgermeister der frischgebackenen Kreisstadt kämpft der Handwerker um den erneuten Anschluss Lauterbachs an den Wohlstand Althessens. Der Streit mit den Riedesel wird beigelegt; Stadtpolitik und Casino vollziehen unter seiner Regie einen Schulterschluss und ziehen wieder an einem gemeinsamen Strang.
Als Stadtvater bringt Eifert Lauterbach zwischen 1852 und 1870 etliche Neuerungen von nachhaltiger Wirkung voran: die Freiwillige Feuerwehr, den „Goldenen Esel“ als Schulgebäude, die Straßenbeleuchtung mit Petroleum, eine Handwerkerschule, eine Telegrafenverbindung nach Alsfeld und Schlitz sowie bedeutende Kapitalrücklagen. Am Ende seines 71 Jahre dauernden Lebens stirbt Eifert, wie sein Vorgänger und seine beiden Nachfolger noch während seiner Amtszeit als Bürgermeister. Am Vorabend der Moderne leistet der Pragmatiker der Stadt wertvolle Dienste, auf denen seinen Nachfolger allesamt aufbauen können.
In der Morgendämmerung der Wilhelminischen Epoche übernimmt Alexander Stöpler das Ruder in der Kreisstadt Lauterbach. Der 1848 geborene Sohn eines Lauterbacher Kaufmanns hatte bei der Aktienbaumwoll-Spinnerei Blitzenrod den Beruf seines Vaters gelernt; wechselte dann als Prokurist nach Lauterbach in die mechanische Weberei von Wenzel & Hoos, ehe er 1887 von einer gewaltigen Bevölkerungsmehrheit in das Amt des Bürgermeisters gehievt wird.
Durch seine Herkunft aus der Wirtschaft hat Stöpler ein feines, beinahe seismographisches Gespür für die Bedürfnisse der Unternehmer, ihrer Angestellten und Lohnarbeiter. Mit dem Gewinn einer neuen Reichspost in der Bahnhofstraße und der Schaffung einer Fernmeldeanlage schafft er die Voraussetzungen schnellerer und besserer Geschäftskommunikationswege. Große und kleine Unternehmen schießen aufgrund des allgemeinen deutschen Aufschwungs und Stöplers Anreizsystemen aus dem Boden; neue Industrieanlagen mit ihren hohen Schloten dominieren fortan die Silhouette der Stadt: die Burgbrauerei an der Cent, die Pappe-Fabrik von Finger & Co., die Blechwarenfabrik, die Wurstfabrik, etliche Webereien, Hutfabriken, Sägewerke oder die neue Molkerei am Nordbahnhof. Durch seine Verbindung nach Blitzenrod und die 1884 dort installierte, erste elektrische Glühbirne des Großherzogtums Hessen, ist Stöpler beseelt von der Idee einer flächendeckenden Stromversorgung in der Stadt. 1899/1900 macht er Lauterbach dann durch die Errichtung des Elektrizitätswerkes und aller dazugehörigen Einrichtungen zur vierten Stadt des Großherzogtums mit gedeckter, kommunaler Elektrizitätsversorgung.
Die proportional zum Wachstum der Stadtbevölkerung sich vermehrende Armut bekämpft Stöpler energisch. Einerseits versucht er Arbeitslose an Firmen zu vermitteln; andererseits lässt er ein großes Armenhaus errichten und verbessert die hygienischen Bedingungen der schlechteren Stadtviertel durch die Kanalisation der offenen Wasser und die Befestigung der Wege und Straßen am Stadtrand.
Die glücklichen Rahmenbedingungen seiner Amtszeit lassen Stöpler fortan auch freie Hand bei der Gestaltung von Kultur und Gesellschaft: als Tausendsassa ist er die Triebfeder etlicher Vereine und Initiativen, die Lauterbach zu einem Ort aufblühenden Fremdenverkehrs machen. Unter Stöpler entsteht der markante Hainigturm des VHC als beliebtes Wanderziel; unter ihm entsteht die (Adolf-Spieß)-Turnhalle des TVL als einer der bedeutendsten Jugendstil-Saalbauten Hessens jenseits der Darmstädter Mathildenhöhe und unter ihm entsteht das neue Kriegerdenkmal an der Hohbrücke, ein ruhender Löwe als Mahnung zum Erhalt des Erreichten und als Dank für die 1871 im Krieg erbrachten Opfer der Lauterbacher und Hessen auf dem schweren Weg der Integration in das Deutsche Kaiserreich.
Nach zweieinhalb vollständig glücklichen Jahrzehnten der Amtsführung geleitet Stöpler die Stadt durch das Trauma des Ersten Weltkrieges, durch das Ende des Kaiserreiches und durch die Spannungen radikalisierter Gruppierungen in der Stadt. Als gemäßigt auftretender Vermittler vereint er 1919 ein letztes Mal genug Stimmen auf sich, um in seine letzte Amtszeit als Bürgermeister zu gehen. Stöpler ist damit nicht nur der letzte großherzoglich-hessische Bürgermeister der Stadt Lauterbach, sondern auch der erste, nach neuem, demokratisierten Wahlrecht mit den Stimmen von Frauen, Kleinbürgern und Besitzlosen gekürte Bürgermeister der Stadt in der Weimarer Republik und im Volksstaat Hessen.
1922 stirbt Alexander Stöpler – wie seine drei Vorgänger im Amt – ekstatisch betrauert von der Bevölkerung, als nach Amtsjahren ungekrönter König in der Geschichte der Lauterbacher Bürgermeister.









