Ranking: Die 10 amtsältesten Bürgermeister der Stadt Lauterbach

Seit dem Spätmittelalter wählt die Bürgerschaft der Stadt Lauterbach nach demokratischen Prinzipien ihr Stadtoberhaupt. Nach zunächst alljährlichen Wahlen, werden seit einer Reform 1821 die Verwaltungschefs der Stadt für längere Amtsperioden zugelassen. Je nach Länge und Intensität ihrer Amtsführung prägten und prägen sie das Bild der Stadt und ihrer Infrastruktur. Deshalb werden hier die zehn Bürgermeister mit den längsten Regierungsperioden dargestellt. 

Eine Artikelserie von Till Hartmann

Als Johann Friedrich Diehm 1773 in Lauterbach geboren wird, untersteht die Stadt der Landeshoheit sämtlicher Riedesel Reichsfreiherren zu Eisenbach, Erbmarschalle zu Hessen. Lauterbach ist Haupt- und Residenzstadt eines Kleinstaates und gliedert sich in Beamtenviertel, gutbürgerliche Quartiere und ausgedehnte, suburban anmutende Vorstädte. 

Als Sprössling von Lauterbachs reichster Familie, die ihr Geld mit überseeischem Handel und Bankgeschäften verdient, steht dem jungen Diehm die Welt offen. Sein Vater und sein Großvater waren bereits Bürgermeister der nunmehr knapp 2.500 Einwohner zählenden Stadt. Doch während selbst sein Bruder ein gutes Verhältnis zu den Riedesel pflegt, polarisiert Friedrich Diehm mit lautstarken, demokratischen Parolen und ist als Jugendlicher ein feuriger Verehrer der Revolution in Frankreich und ihres Anführers Napoleon. 

Nachdem das Land der Riedesel 1806 annektiert wird und dem neu-gekürten Großherzog von Hessen zugesprochen worden ist, leidet die Stadt schwere Jahre. Die Wirtschaft stockt, die politische Unsicherheit hemmt Investitionen und die Armut nährt die Kriminalität. In seinen sechs Amtsjahren 1825 bis 1831 ist Diehm bemüht, seine Heimatstadt in das Großherzogtum zu integrieren und ficht verbittert gegen die verbliebenen Hoheitsrechte der Riedesel. Obwohl er sich dabei auch als Advokat des kleinen Mannes präsentiert, bringt er viele Kleinbürger gegen sich auf. Sein protziges, nach venezianischen und toskanischen Bauplänen gefertigtes Warenkontor, genannt „das Palazzo“, errichtet er kurz vor Amtsantritt vis-á-vis zu den winzigen Holzhäusern seiner Lohnweber am Graben. 

Diehms Reichtum hilft ihm bei der Amtsführung. Die bitter-armen Bauern beschäftigt er in schlechten Erntejahren zu privaten Zwecken: so errichtet er wildromantische Wanderwege entlang der Lauterbacher Berge und Kuppen. Großartige Gartenanlagen und Plantagen entstehen. Damit jedoch langfristig die Wirtschaftskraft der Kleinbürger wieder steigt, stößt der Bankier und Bürgermeister die Verbesserung der Infrastruktur an. Am Ende seiner Amtszeit werden die Chausseen von Lauterbach nach Herbstein und nach Alsfeld runderneuert sein. 

Angesichts der mannigfaltigen Revolutionsaufstände in Europa 1830 bleibt jedoch auch Lauterbach nicht verschont. Wenn auch schlimmere Gewaltexzesse verhindert werden, kocht die Stimmung in der Stadt. Der als gutaussehend und gebildet beschriebene Bürgermeister tritt schließlich sein Amt an Johann Adam Hoos ab und widmet sich seinen Hobbys: der Jagd und ausgelassenen Feiern. 

Der Stadtpolitik bleibt Friedrich Diehm im weitesten Sinne erhalten. Als Mitglied der Casino-Gesellschaft gehört er Lauterbachs exklusivster Honoratioren-Riege an, die sich zwar im Vorfeld der Revolution 1848 spaltet, doch hiernach wieder zusammenfindet. 

Mit seinen Mitbürgern und sogar den Riedesel weitestgehend befriedet, stirbt Friedrich Diehm 1854 im hohen Alter von 81 Jahren, eine Schar an Kindern und Enkeln hinterlassend.  

Konrad Peter II., Sohn einer kleinen Lauterbacher Bäckerei, war in den Jahren 1934/35 erster, ordnungsgemäß eingesetzter NS-Bürgermeister der Stadt. Sein plötzlicher Tod 1935 trifft die Stadtverwaltung und die Partei unerwartet. 

Auf der Suche nach einem neuen Bürgermeister nimmt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ganze 47 Bewerbungen aus verschiedenen Regionen Hessens und des Dritten Reiches entgegen. Darunter befindet sich auch das Gesuch des 1899 geborenen Friedrich Thiele. Der 36 Jahre alte Gutssekretär aus dem Dörfchen Wisselsheim bei Bad Nauheim gilt innerhalb der Partei als „tüchtig“ und verwaltungserfahren. Unter den vielen geeigneten Bewerbern setzt er sich schlussendlich durch. 

Als Gutssekretär gilt „Fritz“ Thiele die Sparsamkeit als heiliges Gebot. Die hohen Kapitalschulden der Stadt aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges und aus den teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der eigenen Partei will er drastisch verringern. Während er Infrastruktur-Maßnahmen am Elektrizitätswerk oder etwa im Bauwesen hintanstellt, erhöht er kommunale Steuern, um das Finanzwesen sprunghaft – und tatsächlich mit einem gewissen Erfolg – zu sanieren. 

In der Stadt genießt Thiele ein hohes Ansehen. In den bessergestellten Kreisen wird er für wirtschaftlich weise erachtet; die unteren Bevölkerungsschichten schätzen seine ruhige, unverwüstliche Parteitreue. Besonders die wachsende NS-Anhängerschaft in der Stadt, inzwischen eine breite Mehrheit, weiß sich mit Thiele als Verwaltungsleitung glücklich. 

Wenn Thiele auch als gemeinhin ruhig und verhältnismäßig besonnen gilt, so duldet und billigt er ohne Zögern und Einwände die Deportation von etlichen Lauterbacher Juden, Behinderten oder politischen Gegnern. Zwar zeichnet er sich nicht persönlich verantwortlich für etliche Gräueltaten in der Stadt, doch hält er seine schützende Hand etwa über diejenigen Mitwisser und Parteigenossen, die den Synagogenbrand in der Stadt initiierten. 

In seinen neun Amtsjahren reift Thiele zu einem Gesicht des NS in Lauterbach heran. Als 1945 das Dritte Reich untergeht und auch Lauterbach befreit wird, schaut die Bürgerschaft mit ambivalenten Gefühlen auf Thieles Zeit. Gegenüber Kreisleiter Zürtz und anderen lokalen NS-Größen gilt er retrospektiv im positiven Sinne als blass und passiv. Gegenüber den Nachbarkommunen profilierte er die Stadt jedenfalls in finanzieller Hinsicht. 

Thiele muss 1945 im Zuge der amerikanischen Maßnahmen gegen Mandatsträger der NS-Partei das Lauterbacher Rathaus räumen und zieht zurück in die Heimat seiner Familie, nach Goslar am Harz. Als er dort 1957 stirbt, widmen ihm Lauterbacher Bürger einen wohlwollenden Nachruf. Als nachhaltige Errungenschaften Thieles rechnet man ihm jedenfalls die Umwandlung der Realschule zum Gymnasium an, sowie die Eingemeindung der Dörfer Blitzenrod und Rudlos nach Lauterbach.  

Der Lauterbacher Otto Falk, Jahrgang 1928, schlägt bereits mit zarten 14 Jahren eine Laufbahn in der Stadtverwaltung ein. Seit seiner Anstellung 1942, mitten im Krieg, der sein Kindes- und Jugendalter prägt, lernt Falk das Grauen der Not und des Elends ganz neu kennen. Unter Bürgermeister Thiele von der NSDAP schließt er 1945 seine Lehrzeit ab.

Als Fritz Thiele geht und Fritz Geißler als neuer Bürgermeister kommt, bleibt Falk ein junger Fels in der Brandung der Nachkriegsstadtverwaltung. Da ihm soziale Themen besonders am Herzen liegen, fühlt er sich moralisch zu politischem Engagement verpflichtet, findet in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands eine Heimat. 

Mit dem Jahr 1973 beginnt Falk vermehrt, die Politik und das Gesicht der Stadt Lauterbach zu prägen. Unter Bürgermeister Willi Fiedler wird er in diesem Jahr mit hohen Würden im Stadtrat beehrt, steigt gar von 1977 bis 1983 zum Hauptamtlichen Ersten Stadtrat auf. Als solcher zeigt sich der tief verwurzelte Politiker aufgeschlossen für den Schulneubau an der Wascherde, aber auch für das starke Wirken der Vereine und der kulturellen Institutionen in der Stadt. 

Nach Jahren politischer Profilierung gewinnt Falk ein derartiges Ansehen und Vertrauen in der Stadt, dass er die Bürgermeisterwahl 1987 für sich entscheiden kann. Die Bürgerschaft kennt und schätzt Falk für seine Ideen und sein Wesen. Nach einer erfolgreichen Amtsperiode des CDU-Bürgermeisters Rainer Visse führt Falk die SPD nach Jahren der Abstinenz wieder ans Stadtregiment. 

Falks Zeit als Bürgermeister ist geprägt von hohen Investitionen in die gesellschaftliche Infrastruktur, aber auch von Lauterbachs schwieriger Lage am Zonenrandgebiet, welche die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Stadt enorm hemmt. Während Lauterbach ein neues Schwimmbad bekommt und mit der Eishalle eine wichtige neue Hauptattraktion, gestaltet sich die Führung der Stadtfinanzen zunehmend schwierig. Falk kämpft an vielen Fronten gegen eine Unsumme an kommunalpolitisch unverschuldeten Problemen. 

Als positives Signal der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung der Stadt gilt die Wiedervereinigung Deutschlands 1990. Aus einer Stadt am Zonenrand erwächst eine traumhafte Mittellage im Herzen eines zusammenwachsenden Europas. Falk führt die Stadt und ihre Bürgerschaft symbolisch in die neue, geeinte Bundesrepublik, ehe er ehrenvoll 1996 aus Altersgründen des Amtes scheidet. Von den Gremien der Stadt Lauterbach erhält Falk den Titel eines Ehrenbürgermeisters.  

Bis 2018, bis zu seinem letzten Atemzug, bleibt der SPD-Mann seiner Heimatstadt treu, die ihn durch den Krieg und die Nachkriegszeit, durch Not, aber auch durch Tage und Wochen der Hoffnung trug. Als sein Erbe in der Kommunalpolitik wünschte er sich stets ein offenes und sachliches Miteinander der Politiker zum Wohle der Menschen.